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Mittwoch, 22. November 2017

Caspar David Friedrich Kalender am 22. November 2017: Wenn ein Wort fehlt

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

NovemberwortfundstückCaspar David Friedrich verwendet in seinen nachgelassenen Texten das Wort

                                                          [Ahndung. 

Wie bei der Kommentierung seines Gemäldes Mönch am Meer:

Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn!

Bei Abdruck oder zitieren dieser Texte wird oft (auch mal in wissenschaftlichen Beiträgen) aus dem Textzusammenhang auf einen Druckfehler geschlossen und daraus

                                  [Ahnung. 


gemacht. So scheint der Text aus unserem heutigen Verständnis plausibel. Denn Ahndung wird heute definiert als 

Bestrafung eines Vergehens, insbesondere durch eine Institution mit den Synonymen BestrafungSanktionMaßregelungRacheVergeltungVergeltungsmaßnahme

Bei der Ahndung am Beginn des 19. Jahrhunderts bedeutete das Wort etwas völlig anderes. Der Philosoph und Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries begründete das Prinzip der Ahndung, um das Dilemma bei der definierenden Unterscheidung von Wissen und Glauben aufzulösen. In einer groben Verkürzung dieser Theorie könnte man sagen:

[Dem Wissen gehört der Begriff, dem Glauben die Idee, der Ahndung das reine Gefühl. 

Also Friedrich wollte mit der Anwendung des Wortes Ahnung etwas Beschreiben, was sich dem Wissen und Glauben im traditionellen Sinne entzieht und er als zentrale Kategorie eines wie auch immer gearteten Gefühlschristentums gesehen hat. Diese Facette des erklärenden Sprechens gehört heute nicht mehr zum deutschen Wortschatz, würde aber in dieser Arbeitsteilung der Sprache dem Sprachsinn unglaublich gut tun. Machen wir eine

                        Experiment

Würde man das Wort aus der Beschreibung des Mönch am Meer herausnehmen, könnte das Bild so aussehen:


Montag, 18. September 2017

Caspar David Friedrich Kalender am 18. September 2017: Wunderbar oder wunderlich?

Joseph Karl Stieler: Johann Wolfgang von Goethe. 1828,
Öl auf Leinwand, 78 × 63.8 cm, Neue Pinakothek München

Am 18. September 1810 besucht Johann Wolfgang von Goethe den Maler Caspar David Friedrich in seinem Dresdner Atelier. In sein Tagebuch notierte der Dichterfürst zwei wunderbare Landschaften gesehen. Gemeint waren damit die beiden Gemälde Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald. Nun ist von Goethe bekannt, dass er den Mönch am Meer nicht mochte, nicht einmal für Kunst hielt. Die Kunsthistoriker rätselten, wie man den Tagebucheintrag deuten sollte? Goethe hat das Wort wunderbar oft ambivalent, mehr im Sinne von wundersam, wunderlich verwendet. Das scheint des Pudels Kern. Hier ein Beispiel für einen solchen Gebrauch des Wortes in einem Goethe-Zitat.

Gewiß bleibt es wunderbar, daß der Mensch das große Vorrecht, nach seinem Tode noch über seine Habe zu disponieren, sehr selten zu Gunsten seiner Lieblinge gebraucht und, wie es scheint aus Achtung für das Herkommen, nur diejenigen begünstigt, die nach ihm sein Vermögen besitzen würden, wenn er auch selbst keinen Willen hätte.


Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie
Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Freitag, 8. September 2017

Caspar David Friedrich Kalender am 9. September: Zensur im Feuilleton

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Clemens Brentano de La Roche wurde am 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (heute Koblenz) geboren. Mit Caspar David Friedrich verbindet den Schriftsteller der Heildelberger Romantik einer der ersten bedeutenden Zensurakte bei der Kunstkritik im deutschen Feuilleton.

Heinrich von Kleist als Redakteur der Berliner Abendblätter bat 1810 Brentano und Achim von Arnim um eine Besprechung zu Friedrichs Mönch am Meer. Brentano verfasste einen Text, der Betrachter des Bildes mit ihrem mangelnden Kunstverstand aufs Korn nahm. Kleist arbeitete die Vorlage völlig um zu dem bekannten Hymnus auf den Mönch. Brentano war so verärgert, dass sich Kleist genötigt sah, eine Erklärung abzudrucken. 

Hier die Dokumentation aller Texte: 

Brentano, Clemens / Achim von Arnim: Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner. (Bei einer Kunstausstellung.) In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen. Nr. 20, 28. 1. 1826, 77–78.

Es ist herrlich, in unendlicher Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel auf eine unbegränzte Wasserwüste hinzuschauen, und dazu gehört, daß man dahin gegangen, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt und seine Stimme doch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt, dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, den einem die Natur thut. Dieses aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mir das Bild that, indem es denselben nicht erfüllte, und so wurde ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Dieser wunderbaren Empfindung nun zu begegnen lauschte ich auf die Aeußerungen der Verschiedenheit der Beschauer um mich her, und theile sie als zu diesem Gemälde gehörig mit, das durchaus Decoration ist, vor welchem eine Handlung vorgehen muß, indem es keine Ruhe gewährt.

Eine Dame und ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, traten auf, die Dame sah in ihr Verzeichniß und sprach: Nro. zwei; Landschaft in Oel. Wie gefällt sie Ihnen. Herr: Unendlich tief und erhaben. D. Sie meinen die See, ja die muß erstaunlich tief seyn, und der Kapuziner ist auch sehr erhaben. Hr. Nein, Frau Kriegsrath, ich meine die Empfindung des einzigen Friedrichs bei diesem Bilde. D. Ist es schon so alt, daß er es auch gesehen? Hr. Ach, Sie mißverstehn mich, ich rede von dem Maler Friedrich, Ossian schlägt vor diesem Bilde in die Harfe. (ab)

Zwei junge Damen. 1. Hast du gehört, Louise, das ist Ossian. 2. Ach nein, du mißverstehst ihn, es ist der Ocean. 1. Er sagte aber, er schlüge in die Harfe. 2. Ich sehe aber keine Harfe. Es ist doch recht graulich anzusehen. (ab)

– Zwei Kunstverständige. 1. Ja wohl graulich, es ist alles ganz grau, wie der nur solche trockne Dinge malen will. 2. Sie wollen lieber sagen, wie er so nasse Dinge so trocken malen will. 1. Er wird es wohl so gut malen als er kann. (ab)

– Eine Erzieherin mit zwei Demoiselles. Erz. dieß ist die See bei Rügen. 1. Dem. Wo Kosegarten wohnt. 2. Wo die Colonialwaaren herkommen. Erz. Warum er nur so trübe Luft gemalt. Wie schön, wenn er im Vordergrund einige Bernsteinfischer gemalt hätte. 1. Dem. Ach ja, ich möchte mir selbst einmal eine schöne Schnur Bernstein zusammen fischen. (ab)

– Eine junge Frau mit zwei blonden Kindern und ein Paar Herrn. Herr: Herrlich, herrlich, dieser Mann ist doch der einzige, der in seinen Landschaften ein Gemüth ausdrückt, es ist eine große Individualität in diesem Bilde, die hohe Wahrheit, die Einsamkeit, der trübe schwermuthsvolle Himmel, er weiß doch, was er malt. 2. Hr. Und malt auch was er weiß, und fühlt es, und denkt es, und malt es. 1. Kind. Was ist denn das? 1. Hr. Das ist die See, mein Kind, und ein Kapuziner, der daran spazieren geht und traurig ist, daß er keinen so artigen Jungen hat wie du. 2. Kind. Warum tanzt der Kapuziner denn nicht vorn herum, warum wackelt er nicht mit dem Kopf, wie im Schattenspiel? Das wäre doch schöner. 1. Kind. Es ist wohl so ein Kapuziner, der das Wetter anzeigt, wie der vor unserm Fenster. 2. Hr. Nicht ein solcher, mein Kind, aber auch er zeigt das Wetter an, er ist die Einheit in der Allheit, der einsame Mittelpunkt in dem einsamen Kreis. 1. Hr. Ja er ist das Gemüth, das Herz, die Reflexion des ganzen Bildes in sich und über sich. 2. Hr. Wie göttlich ist diese Staffage gewählt, sie ist nicht wie bei den ordinären Herren Malern ein bloßer Maaßstab für die Höhe der Gegenstände, er ist die Sache selbst, er ist das Bild, und indem er in diese Gegend wie in einen traurigen Spiegel seiner eignen Abgeschlossenheit hinein zu träumen scheint, scheint das schifflose einschließende Meer, das ihn wie sein Gelübde beschränkt, und das öde Sandufer, das freudenlos wie sein Leben ist, ihn wieder wie eine einsame von sich selbst weissagende Uferpflanze symbolisch hervorzutreiben. 1. Hr. Herrlich, gewiß, Sie haben recht; (zur Dame) aber meine Liebe, Sie sagen ja gar nichts. D. Ach, es war mir vor dem Bilde wie zu Haus, es rührte mich recht, es ist doch recht natürlich, und als Sie so sprachen, war mir grade so undeutlich, wie sonst, wenn ich mit unseren philosophischen Freunden am Meer spazieren ging, nur wünschte ich, daß eine frische Seeluft wehte und ein Segel herantriebe, und daß ein Sonnenblick niederglänzte und das Wasser rauschte; so ist mir’s als wie Alpdrücken und Sehnsucht nach dem Vaterland im Traum; kommt weiter, es macht mich traurig (ab.)

– Eine Dame und ein Führer. D. Es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Sie meinen, als wenn sie dem Kapuziner hineingefallen wären? D. Wenn Sie nur nicht immer spaßten und einem die Empfindung störten; Sie empfinden heimlich doch dasselbe, aber Sie wollen im Andern belachen, was Sie in sich verehren. Ich sage, es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Und ich sage ja, und zwar den Carlsruher Nachdruck, und das Bonnet de Nuit von Mercier dazu, und Schuberts Ansicht von der Natur von der Nachtseite oben ein. D. Ich kann Ihnen nicht besser antworten, als mit einer parallelen Anecdote: da der unsterbliche Klopstock zum Erstenmal in seinen Gedichten gesagt hatte, die Morgenröthe lächelt, sagte Madame Gottsched, indem sie es las: Was macht sie denn für ein Mäulchen? Hr. Gewiß kein so schönes wie das Ihre, indem Sie dieß sagen. D. Nun fallen Sie ins Fatale. Hr. Und Gottsched gab seiner Frau ein Mäulchen für das Bon Mot. D. Ich soll Ihnen wohl gar eine Nachtmütze für das Ihrige geben, aber Sie sind selbst eine. Hr. Nein, lieber eine Ansicht Ihrer Natur von der Nachtseite. D. Sie sind unartig. Hr. Ach, wenn wir da mit einander ständen, wie der Kapuziner steht. D. Ich ließe Sie und ginge zum Kapuziner. Hr. Und bäten Ihn, mich mit Ihnen zu copuliren. D. Nein, Sie ins Wasser zu werfen. Hr. Und blieben mit dem Pater allein und verführten ihn, und verdürben das ganze Bild, und seine Nachtgedanken; seht, so seyd ihr Weiber, ihr vernichtet am Ende doch, was ihr empfindet, ihr saget vor lauter Lügen die Wahrheit. O ich wollte, ich wäre der Kapuziner, der so ewig einsam hinüberschaut in das dunkle verheißende Meer, das wie eine Apokalypse vor ihm liegt, so wollte ich mich ewig sehnen nach Ihnen, liebe Julie, und Sie ewig vermissen, denn diese Sehnsucht ist doch die einzige herrliche Empfindung in der Liebe. D. Nein, nein, mein Lieber, auch in diesem Bilde; wenn Sie so reden, springe ich Ihnen nach ins Wasser und lasse den Kapuziner stehn (ab)

Während der ganzen Zeit hatte ein glimpflicher langer Mann mit einigen Zeichen von Ungeduld zugehört, ich trat ihm etwas auf den Fuß und er antwortete mir als ob ich ihn dadurch um seine Meinung befragt hätte. Es ist gut, daß die Bilder nicht hören können, sie hätten sich sonst schon längst verschleiert; die Leute gehen gar zu unzüchtig mit ihnen um und sind fest überzeugt, sie ständen hier wegen eines geheimen Verbrechens am Pranger, das sie Zuschauer durchaus entdecken müssen. – Aber, was meinen Sie denn eigentlich von dem Bilde? fragte ich. – Es freut mich, sagte er, daß es noch einen Landschaftsmaler gibt, der auf die wunderbaren Conjuncturen des Jahres und Himmels achtet, die auch in der ärmsten Gegend die ergreifendste Wirkung hervorbringen, – es wäre mir aber freilich lieber, wenn dieser Künstler außer dem Gefühl dafür auch die Gabe und das Studium hätte, es in der Darstellung wahr wiederzugeben, und in dieser Hinsicht steht er eben so weit hinter einigen Holländern zurück, die ähnliche Gegenstände gemalt haben, als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertrifft, es würde nicht schwer seyn, ein Dutzend Bilder zu nennen, wo Meer und Ufer und Kapuziner besser gemalt sind. Der Kapuziner erscheint in einer gewissen Entfernung wie ein brauner Fleck, und wenn ich durchaus einen Kapuziner hätte malen wollen, so hätte ich ihn lieber schlafend hingestreckt oder betend oder schauend in aller Bescheidenheit nieder gelegt, damit er den Zuschauern, denen das weite Meer doch offenbar mehr Eindruck macht als der kleine Kapuziner, nicht die Aussicht verdürbe; wer später sich nach den Küstenbewohnern umsähe, fände immer noch in dem Kapuziner alle Veranlassung, das auszusprechen, was mehrere der Zuschauer in einer überschwenglich allgemeinen Vertraulichkeit allen laut mitgetheilt haben.

Diese Rede gefiel mir so wohl, daß ich mich mit demselben Herrn sogleich nach Hause begab, wo ich mich noch befinde und in Zukunft anzutreffen seyn werde.



Text von Kleist überarbeitet

Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.


Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann, daß man Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den Einem die Natur thut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnißvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Joungs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Mahler Zweifels ohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin über48zeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung thun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser mahlte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmahlerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemählde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Aeußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

Erklärung von Kleist in den Berliner Abendblättern (Nr. 19, 22. 10. 1810, S. 78)

„Der Aufsatz Hrn. L.[udwig] A.[chim] v. A.[rnims] und Hrn. C.[lemens] B.[rentanos] über Hrn. Friedrichs Seelandschaft (S. 12te Blatt.) war ursprünglich dramatisch abgefaßt; der Raum dieser Blätter erforderte aber eine Abkürzung, zu welcher Freiheit ich von Hrn. A. v. A.[rnim] freundschaftlich berechtigt war. Gleichwohl hat dieser Aufsatz dadurch, daß er nunmehr ein bestimmtes Urtheil ausspricht, seinen Charakter dergestalt verändert, daß ich, zur Steuer der Wahrheit [...] erklären muß: nur der Buchstabe desselben gehört den genannten beiden Hrn.; der Geist aber, und die Verantwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefaßt ist, mir. H. v. K.“

Montag, 21. November 2016

Caspar David Friedrich Kalender am 22. November 2016: Wenn ein Wort fehlt

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

NovemberwortfundstückCaspar David Friedrich verwendet in seinen nachgelassenen Texten das Wort

                                                          [Ahndung. 

Wie bei der Kommentierung seines Gemäldes Mönch am Meer:

Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn!

Bei Abdruck oder zitieren dieser Texte wird oft (auch mal in wissenschaftlichen Beiträgen) aus dem Textzusammenhang auf einen Druckfehler geschlossen und daraus

                                  [Ahnung. 


gemacht. So scheint der Text aus unserem heutigen Verständnis plausibel. Denn Ahndung wird heute definiert als 

Bestrafung eines Vergehens, insbesondere durch eine Institution mit den Synonymen BestrafungSanktionMaßregelungRacheVergeltungVergeltungsmaßnahme

Bei der Ahndung am Beginn des 19. Jahrhunderts bedeutete das Wort etwas völlig anderes. Der Philosoph und Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries begründete das Prinzip der Ahndung, um das Dilemma bei der definierenden Unterscheidung von Wissen und Glauben aufzulösen. In einer groben Verkürzung dieser Theorie könnte man sagen:

[Dem Wissen gehört der Begriff, dem Glauben die Idee, der Ahndung das reine Gefühl. 

Also Friedrich wollte mit der Anwendung des Wortes Ahnung etwas Beschreiben, was sich dem Wissen und Glauben im traditionellen Sinne entzieht und er als zentrale Kategorie eines wie auch immer gearteten Gefühlschristentums gesehen hat. Diese Facette des erklärenden Sprechens gehört heute nicht mehr zum deutschen Wortschatz, würde aber in dieser Arbeitsteilung der Sprache dem Sprachsinn unglaublich gut tun. Machen wir eine

                        Experiment

Würde man das Wort aus der Beschreibung des Mönch am Meer herausnehmen, könnte das Bild so aussehen:


Sonntag, 18. September 2016

Caspar David Friedrich Kalender am 18. September 2016: Wunderbar oder wunderlich?


Joseph Karl Stieler: Johann Wolfgang von Goethe. 1828,
Öl auf Leinwand, 78 × 63.8 cm, Neue Pinakothek München


Am 18. September 1810 besucht Johann Wolfgang von Goethe den Maler Caspar David Friedrich in seinem Dresdner Atelier. In sein Tagebuch notierte der Dichterfürst zwei wunderbare Landschaften gesehen. Gemeint waren damit die beiden Gemälde Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald. Nun ist von Goethe bekannt, dass er den Mönch am Meer nicht mochte, nicht einmal für Kunst hielt. Die Kunsthistoriker rätselten, wie man den Tagebucheintrag deuten sollte? Goethe hat das Wort wunderbar oft ambivalent, mehr im Sinne von wundersam, wunderlich verwendet. Das scheint des Pudels Kern. Hier ein Beispiel für einen solchen Gebrauch des Wortes in einem Goethe-Zitat.

Gewiß bleibt es wunderbar, daß der Mensch das große Vorrecht, nach seinem Tode noch über seine Habe zu disponieren, sehr selten zu Gunsten seiner Lieblinge gebraucht und, wie es scheint aus Achtung für das Herkommen, nur diejenigen begünstigt, die nach ihm sein Vermögen besitzen würden, wenn er auch selbst keinen Willen hätte.

Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald. Um 1809, 
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie


Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Donnerstag, 8. September 2016

Caspar David Friedrich Kalender am 9. September 2016: Zensur im Feuilleton

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Clemens Brentano de La Roche wurde am 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (heute Koblenz) geboren. Mit Caspar David Friedrich verbindet den Schriftsteller der Heildelberger Romantik einer der ersten bedeutenden Zensurakte bei der Kunstkritik im deutschen Feuilleton.

Heinrich von Kleist als Redakteur der Berliner Abendblätter bat 1810 Brentano und Achim von Arnim um eine Besprechung zu Friedrichs Mönch am Meer. Brentano verfasste einen Text, der Betrachter des Bildes mit ihrem mangelnden Kunstverstand aufs Korn nahm. Kleist arbeitete die Vorlage völlig um zu dem bekannten Hymnus auf den Mönch. Brentano war so verärgert, dass sich Kleist genötigt sah, eine Erklärung abzudrucken. 

Hier die Dokumentation aller Texte: 

Brentano, Clemens / Achim von Arnim: Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner. (Bei einer Kunstausstellung.) In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen. Nr. 20, 28. 1. 1826, 77–78.

Es ist herrlich, in unendlicher Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel auf eine unbegränzte Wasserwüste hinzuschauen, und dazu gehört, daß man dahin gegangen, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt und seine Stimme doch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt, dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, den einem die Natur thut. Dieses aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mir das Bild that, indem es denselben nicht erfüllte, und so wurde ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Dieser wunderbaren Empfindung nun zu begegnen lauschte ich auf die Aeußerungen der Verschiedenheit der Beschauer um mich her, und theile sie als zu diesem Gemälde gehörig mit, das durchaus Decoration ist, vor welchem eine Handlung vorgehen muß, indem es keine Ruhe gewährt.

Eine Dame und ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, traten auf, die Dame sah in ihr Verzeichniß und sprach: Nro. zwei; Landschaft in Oel. Wie gefällt sie Ihnen. Herr: Unendlich tief und erhaben. D. Sie meinen die See, ja die muß erstaunlich tief seyn, und der Kapuziner ist auch sehr erhaben. Hr. Nein, Frau Kriegsrath, ich meine die Empfindung des einzigen Friedrichs bei diesem Bilde. D. Ist es schon so alt, daß er es auch gesehen? Hr. Ach, Sie mißverstehn mich, ich rede von dem Maler Friedrich, Ossian schlägt vor diesem Bilde in die Harfe. (ab)

Zwei junge Damen. 1. Hast du gehört, Louise, das ist Ossian. 2. Ach nein, du mißverstehst ihn, es ist der Ocean. 1. Er sagte aber, er schlüge in die Harfe. 2. Ich sehe aber keine Harfe. Es ist doch recht graulich anzusehen. (ab)

– Zwei Kunstverständige. 1. Ja wohl graulich, es ist alles ganz grau, wie der nur solche trockne Dinge malen will. 2. Sie wollen lieber sagen, wie er so nasse Dinge so trocken malen will. 1. Er wird es wohl so gut malen als er kann. (ab)

– Eine Erzieherin mit zwei Demoiselles. Erz. dieß ist die See bei Rügen. 1. Dem. Wo Kosegarten wohnt. 2. Wo die Colonialwaaren herkommen. Erz. Warum er nur so trübe Luft gemalt. Wie schön, wenn er im Vordergrund einige Bernsteinfischer gemalt hätte. 1. Dem. Ach ja, ich möchte mir selbst einmal eine schöne Schnur Bernstein zusammen fischen. (ab)

– Eine junge Frau mit zwei blonden Kindern und ein Paar Herrn. Herr: Herrlich, herrlich, dieser Mann ist doch der einzige, der in seinen Landschaften ein Gemüth ausdrückt, es ist eine große Individualität in diesem Bilde, die hohe Wahrheit, die Einsamkeit, der trübe schwermuthsvolle Himmel, er weiß doch, was er malt. 2. Hr. Und malt auch was er weiß, und fühlt es, und denkt es, und malt es. 1. Kind. Was ist denn das? 1. Hr. Das ist die See, mein Kind, und ein Kapuziner, der daran spazieren geht und traurig ist, daß er keinen so artigen Jungen hat wie du. 2. Kind. Warum tanzt der Kapuziner denn nicht vorn herum, warum wackelt er nicht mit dem Kopf, wie im Schattenspiel? Das wäre doch schöner. 1. Kind. Es ist wohl so ein Kapuziner, der das Wetter anzeigt, wie der vor unserm Fenster. 2. Hr. Nicht ein solcher, mein Kind, aber auch er zeigt das Wetter an, er ist die Einheit in der Allheit, der einsame Mittelpunkt in dem einsamen Kreis. 1. Hr. Ja er ist das Gemüth, das Herz, die Reflexion des ganzen Bildes in sich und über sich. 2. Hr. Wie göttlich ist diese Staffage gewählt, sie ist nicht wie bei den ordinären Herren Malern ein bloßer Maaßstab für die Höhe der Gegenstände, er ist die Sache selbst, er ist das Bild, und indem er in diese Gegend wie in einen traurigen Spiegel seiner eignen Abgeschlossenheit hinein zu träumen scheint, scheint das schifflose einschließende Meer, das ihn wie sein Gelübde beschränkt, und das öde Sandufer, das freudenlos wie sein Leben ist, ihn wieder wie eine einsame von sich selbst weissagende Uferpflanze symbolisch hervorzutreiben. 1. Hr. Herrlich, gewiß, Sie haben recht; (zur Dame) aber meine Liebe, Sie sagen ja gar nichts. D. Ach, es war mir vor dem Bilde wie zu Haus, es rührte mich recht, es ist doch recht natürlich, und als Sie so sprachen, war mir grade so undeutlich, wie sonst, wenn ich mit unseren philosophischen Freunden am Meer spazieren ging, nur wünschte ich, daß eine frische Seeluft wehte und ein Segel herantriebe, und daß ein Sonnenblick niederglänzte und das Wasser rauschte; so ist mir’s als wie Alpdrücken und Sehnsucht nach dem Vaterland im Traum; kommt weiter, es macht mich traurig (ab.)

– Eine Dame und ein Führer. D. Es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Sie meinen, als wenn sie dem Kapuziner hineingefallen wären? D. Wenn Sie nur nicht immer spaßten und einem die Empfindung störten; Sie empfinden heimlich doch dasselbe, aber Sie wollen im Andern belachen, was Sie in sich verehren. Ich sage, es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Und ich sage ja, und zwar den Carlsruher Nachdruck, und das Bonnet de Nuit von Mercier dazu, und Schuberts Ansicht von der Natur von der Nachtseite oben ein. D. Ich kann Ihnen nicht besser antworten, als mit einer parallelen Anecdote: da der unsterbliche Klopstock zum Erstenmal in seinen Gedichten gesagt hatte, die Morgenröthe lächelt, sagte Madame Gottsched, indem sie es las: Was macht sie denn für ein Mäulchen? Hr. Gewiß kein so schönes wie das Ihre, indem Sie dieß sagen. D. Nun fallen Sie ins Fatale. Hr. Und Gottsched gab seiner Frau ein Mäulchen für das Bon Mot. D. Ich soll Ihnen wohl gar eine Nachtmütze für das Ihrige geben, aber Sie sind selbst eine. Hr. Nein, lieber eine Ansicht Ihrer Natur von der Nachtseite. D. Sie sind unartig. Hr. Ach, wenn wir da mit einander ständen, wie der Kapuziner steht. D. Ich ließe Sie und ginge zum Kapuziner. Hr. Und bäten Ihn, mich mit Ihnen zu copuliren. D. Nein, Sie ins Wasser zu werfen. Hr. Und blieben mit dem Pater allein und verführten ihn, und verdürben das ganze Bild, und seine Nachtgedanken; seht, so seyd ihr Weiber, ihr vernichtet am Ende doch, was ihr empfindet, ihr saget vor lauter Lügen die Wahrheit. O ich wollte, ich wäre der Kapuziner, der so ewig einsam hinüberschaut in das dunkle verheißende Meer, das wie eine Apokalypse vor ihm liegt, so wollte ich mich ewig sehnen nach Ihnen, liebe Julie, und Sie ewig vermissen, denn diese Sehnsucht ist doch die einzige herrliche Empfindung in der Liebe. D. Nein, nein, mein Lieber, auch in diesem Bilde; wenn Sie so reden, springe ich Ihnen nach ins Wasser und lasse den Kapuziner stehn (ab)

Während der ganzen Zeit hatte ein glimpflicher langer Mann mit einigen Zeichen von Ungeduld zugehört, ich trat ihm etwas auf den Fuß und er antwortete mir als ob ich ihn dadurch um seine Meinung befragt hätte. Es ist gut, daß die Bilder nicht hören können, sie hätten sich sonst schon längst verschleiert; die Leute gehen gar zu unzüchtig mit ihnen um und sind fest überzeugt, sie ständen hier wegen eines geheimen Verbrechens am Pranger, das sie Zuschauer durchaus entdecken müssen. – Aber, was meinen Sie denn eigentlich von dem Bilde? fragte ich. – Es freut mich, sagte er, daß es noch einen Landschaftsmaler gibt, der auf die wunderbaren Conjuncturen des Jahres und Himmels achtet, die auch in der ärmsten Gegend die ergreifendste Wirkung hervorbringen, – es wäre mir aber freilich lieber, wenn dieser Künstler außer dem Gefühl dafür auch die Gabe und das Studium hätte, es in der Darstellung wahr wiederzugeben, und in dieser Hinsicht steht er eben so weit hinter einigen Holländern zurück, die ähnliche Gegenstände gemalt haben, als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertrifft, es würde nicht schwer seyn, ein Dutzend Bilder zu nennen, wo Meer und Ufer und Kapuziner besser gemalt sind. Der Kapuziner erscheint in einer gewissen Entfernung wie ein brauner Fleck, und wenn ich durchaus einen Kapuziner hätte malen wollen, so hätte ich ihn lieber schlafend hingestreckt oder betend oder schauend in aller Bescheidenheit nieder gelegt, damit er den Zuschauern, denen das weite Meer doch offenbar mehr Eindruck macht als der kleine Kapuziner, nicht die Aussicht verdürbe; wer später sich nach den Küstenbewohnern umsähe, fände immer noch in dem Kapuziner alle Veranlassung, das auszusprechen, was mehrere der Zuschauer in einer überschwenglich allgemeinen Vertraulichkeit allen laut mitgetheilt haben.

Diese Rede gefiel mir so wohl, daß ich mich mit demselben Herrn sogleich nach Hause begab, wo ich mich noch befinde und in Zukunft anzutreffen seyn werde.



Text von Kleist überarbeitet

Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.


Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann, daß man Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den Einem die Natur thut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnißvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Joungs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Mahler Zweifels ohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin über48zeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung thun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser mahlte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmahlerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemählde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Aeußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

Erklärung von Kleist in den Berliner Abendblättern (Nr. 19, 22. 10. 1810, S. 78)

„Der Aufsatz Hrn. L.[udwig] A.[chim] v. A.[rnims] und Hrn. C.[lemens] B.[rentanos] über Hrn. Friedrichs Seelandschaft (S. 12te Blatt.) war ursprünglich dramatisch abgefaßt; der Raum dieser Blätter erforderte aber eine Abkürzung, zu welcher Freiheit ich von Hrn. A. v. A.[rnim] freundschaftlich berechtigt war. Gleichwohl hat dieser Aufsatz dadurch, daß er nunmehr ein bestimmtes Urtheil ausspricht, seinen Charakter dergestalt verändert, daß ich, zur Steuer der Wahrheit [...] erklären muß: nur der Buchstabe desselben gehört den genannten beiden Hrn.; der Geist aber, und die Verantwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefaßt ist, mir. H. v. K.“

Sonntag, 22. November 2015

Caspar David Friedrich Kalender am 22. November: Wenn ein Wort fehlt

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809, 
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie
Novemberwortfundstück: Caspar David Friedrich verwendet in seinen nachgelassenen Texten das Wort

                                                          [Ahndung. 

Wie bei der Kommentierung seines Gemäldes Mönch am Meer:

Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn!

Bei Abdruck oder zitieren dieser Texte wird oft (auch mal in wissenschaftlichen Beiträgen) aus dem Textzusammenhang auf einen Druckfehler geschlossen und daraus

                                  [Ahnung. 


gemacht. So scheint der Text aus unserem heutigen Verständnis plausibel. Denn Ahndung wird heute definiert als 

Bestrafung eines Vergehens, insbesondere durch eine Institution mit den Synonymen Bestrafung, Sanktion, Maßregelung, Rache, Vergeltung, Vergeltungsmaßnahme

Bei der Ahndung am Beginn des 19. Jahrhunderts bedeutete das Wort etwas völlig anderes. Der Philosoph und Fichte-Schüler Jakob Friedrich Fries begründete das Prinzip der Ahndung, um das Dilemma bei der definierenden Unterscheidung von Wissen und Glauben aufzulösen. In einer groben Verkürzung dieser Theorie könnte man sagen:

[Dem Wissen gehört der Begriff, dem Glauben die Idee, der Ahndung das reine Gefühl. 

Also Friedrich wollte mit der Anwendung des Wortes Ahnung etwas Beschreiben, was sich dem Wissen und Glauben im traditionellen Sinne entzieht und er als zentrale Kategorie eines wie auch immer gearteten Gefühlschristentums gesehen hat. Diese Facette des erklärenden Sprechens gehört heute nicht mehr zum deutschen Wortschatz, würde aber in dieser Arbeitsteilung der Sprache dem Sprachsinn unglaublich gut tun. Machen wir eine

                        Experiment

Würde man das Wort aus der Beschreibung des Mönch am Meer herausnehmen, könnte das Bild so aussehen:



Freitag, 18. September 2015

Caspar David Friedrich Kalender am 18. September: Wunderbar oder eher wunderlich?

Joseph Karl Stieler: Johann Wolfgang von Goethe. 1828,
Öl auf Leinwand, 78 × 63.8 cm, Neue Pinakothek München

Am 18. September 1810 besucht Johann Wolfgang von Goethe den Maler Caspar David Friedrich in seinem Dresdner Atelier. In sein Tagebuch notierte der Dichterfürst "zwei wunderbare" Landschaften gesehen. Gemeint waren damit die beiden Gemälde Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald. Nun ist von Goethe bekannt, dass er den Mönch am Meer nicht mochte, nicht einmal für Kunst hielt. Die Kunsthistoriker rätselten, wie man den Tagebucheintrag deuten sollte? Goethe hat das Wort wunderbar oft ambivalent, mehr im Sinne von wundersam, wunderlich verwendet. Das scheint des Pudels Kern. Hier ein Beispiel für einen solchen Gebrauch des Wortes in einem Goethe-Zitat.

Gewiß bleibt es wunderbar, daß der Mensch das große Vorrecht, nach seinem Tode noch über seine Habe zu disponieren, sehr selten zu Gunsten seiner Lieblinge gebraucht und, wie es scheint aus Achtung für das Herkommen, nur diejenigen begünstigt, die nach ihm sein Vermögen besitzen würden, wenn er auch selbst keinen Willen hätte.

Mehr zum Verhältnis von Goethe zu Friedrich in Caspar David Friedrichs verborgene Landschaften. Die Neubrandenburger Kontexte, Kapitel 4, "Die Bäume der Ahnen", S.302 ff.

Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald. 1810,
Öl auf Leinwand, 110,4 x 171 cm, Berlin, Nationalgalerie

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809, 
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Dienstag, 8. September 2015

Caspar David Friedrich Kalender am 9. September: Zensur im Feuilleton

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer. Um 1809,
Öl auf Leinwand, 110 x 171,5 cm, Berlin Nationalgalerie

Clemens Brentano de La Roche wurde am 9. September 1778 in Ehrenbreitstein (heute Koblenz) geboren. Mit Caspar David Friedrich verbindet den Schriftsteller der Heildelberger Romantik einer der ersten bedeutenden Zensurakte bei der Kunstkritik im deutschen Feuilleton.

Heinrich von Kleist als Redakteur der Berliner Abendblätter bat 1810 Brentano und Achim von Arnim um eine Besprechung zu Friedrichs Mönch am Meer. Brentano verfasste einen Text, der Betrachter des Bildes mit ihrem mangelnden Kunstverstand aufs Korn nahm. Kleist arbeitete die Vorlage völlig um zu dem bekannten Hymnus auf den Mönch. Brentano war so verärgert, dass sich Kleist genötigt sah, eine Erklärung abzudrucken. 

Hier die Dokumentation aller Texte: 

Brentano, Clemens / Achim von Arnim: Verschiedene Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich, worauf ein Kapuziner. (Bei einer Kunstausstellung.) In: Iris. Unterhaltungsblatt für Freunde des Schönen und Nützlichen. Nr. 20, 28. 1. 1826, 77–78.

Es ist herrlich, in unendlicher Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel auf eine unbegränzte Wasserwüste hinzuschauen, und dazu gehört, daß man dahin gegangen, daß man zurück muß, daß man hinüber möchte, daß man es nicht kann, daß man alles zum Leben vermißt und seine Stimme doch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt, dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, den einem die Natur thut. Dieses aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nämlich einen Anspruch, den mir das Bild that, indem es denselben nicht erfüllte, und so wurde ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Dieser wunderbaren Empfindung nun zu begegnen lauschte ich auf die Aeußerungen der Verschiedenheit der Beschauer um mich her, und theile sie als zu diesem Gemälde gehörig mit, das durchaus Decoration ist, vor welchem eine Handlung vorgehen muß, indem es keine Ruhe gewährt.

Eine Dame und ein Herr, welcher vielleicht sehr geistreich war, traten auf, die Dame sah in ihr Verzeichniß und sprach: Nro. zwei; Landschaft in Oel. Wie gefällt sie Ihnen. Herr: Unendlich tief und erhaben. D. Sie meinen die See, ja die muß erstaunlich tief seyn, und der Kapuziner ist auch sehr erhaben. Hr. Nein, Frau Kriegsrath, ich meine die Empfindung des einzigen Friedrichs bei diesem Bilde. D. Ist es schon so alt, daß er es auch gesehen? Hr. Ach, Sie mißverstehn mich, ich rede von dem Maler Friedrich, Ossian schlägt vor diesem Bilde in die Harfe. (ab)

Zwei junge Damen. 1. Hast du gehört, Louise, das ist Ossian. 2. Ach nein, du mißverstehst ihn, es ist der Ocean. 1. Er sagte aber, er schlüge in die Harfe. 2. Ich sehe aber keine Harfe. Es ist doch recht graulich anzusehen. (ab)

– Zwei Kunstverständige. 1. Ja wohl graulich, es ist alles ganz grau, wie der nur solche trockne Dinge malen will. 2. Sie wollen lieber sagen, wie er so nasse Dinge so trocken malen will. 1. Er wird es wohl so gut malen als er kann. (ab)

– Eine Erzieherin mit zwei Demoiselles. Erz. dieß ist die See bei Rügen. 1. Dem. Wo Kosegarten wohnt. 2. Wo die Colonialwaaren herkommen. Erz. Warum er nur so trübe Luft gemalt. Wie schön, wenn er im Vordergrund einige Bernsteinfischer gemalt hätte. 1. Dem. Ach ja, ich möchte mir selbst einmal eine schöne Schnur Bernstein zusammen fischen. (ab)

– Eine junge Frau mit zwei blonden Kindern und ein Paar Herrn. Herr: Herrlich, herrlich, dieser Mann ist doch der einzige, der in seinen Landschaften ein Gemüth ausdrückt, es ist eine große Individualität in diesem Bilde, die hohe Wahrheit, die Einsamkeit, der trübe schwermuthsvolle Himmel, er weiß doch, was er malt. 2. Hr. Und malt auch was er weiß, und fühlt es, und denkt es, und malt es. 1. Kind. Was ist denn das? 1. Hr. Das ist die See, mein Kind, und ein Kapuziner, der daran spazieren geht und traurig ist, daß er keinen so artigen Jungen hat wie du. 2. Kind. Warum tanzt der Kapuziner denn nicht vorn herum, warum wackelt er nicht mit dem Kopf, wie im Schattenspiel? Das wäre doch schöner. 1. Kind. Es ist wohl so ein Kapuziner, der das Wetter anzeigt, wie der vor unserm Fenster. 2. Hr. Nicht ein solcher, mein Kind, aber auch er zeigt das Wetter an, er ist die Einheit in der Allheit, der einsame Mittelpunkt in dem einsamen Kreis. 1. Hr. Ja er ist das Gemüth, das Herz, die Reflexion des ganzen Bildes in sich und über sich. 2. Hr. Wie göttlich ist diese Staffage gewählt, sie ist nicht wie bei den ordinären Herren Malern ein bloßer Maaßstab für die Höhe der Gegenstände, er ist die Sache selbst, er ist das Bild, und indem er in diese Gegend wie in einen traurigen Spiegel seiner eignen Abgeschlossenheit hinein zu träumen scheint, scheint das schifflose einschließende Meer, das ihn wie sein Gelübde beschränkt, und das öde Sandufer, das freudenlos wie sein Leben ist, ihn wieder wie eine einsame von sich selbst weissagende Uferpflanze symbolisch hervorzutreiben. 1. Hr. Herrlich, gewiß, Sie haben recht; (zur Dame) aber meine Liebe, Sie sagen ja gar nichts. D. Ach, es war mir vor dem Bilde wie zu Haus, es rührte mich recht, es ist doch recht natürlich, und als Sie so sprachen, war mir grade so undeutlich, wie sonst, wenn ich mit unseren philosophischen Freunden am Meer spazieren ging, nur wünschte ich, daß eine frische Seeluft wehte und ein Segel herantriebe, und daß ein Sonnenblick niederglänzte und das Wasser rauschte; so ist mir’s als wie Alpdrücken und Sehnsucht nach dem Vaterland im Traum; kommt weiter, es macht mich traurig (ab.)

– Eine Dame und ein Führer. D. Es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Sie meinen, als wenn sie dem Kapuziner hineingefallen wären? D. Wenn Sie nur nicht immer spaßten und einem die Empfindung störten; Sie empfinden heimlich doch dasselbe, aber Sie wollen im Andern belachen, was Sie in sich verehren. Ich sage, es ist, als wenn das Meer Youngs Nachtgedanken hätte. Hr. Und ich sage ja, und zwar den Carlsruher Nachdruck, und das Bonnet de Nuit von Mercier dazu, und Schuberts Ansicht von der Natur von der Nachtseite oben ein. D. Ich kann Ihnen nicht besser antworten, als mit einer parallelen Anecdote: da der unsterbliche Klopstock zum Erstenmal in seinen Gedichten gesagt hatte, die Morgenröthe lächelt, sagte Madame Gottsched, indem sie es las: Was macht sie denn für ein Mäulchen? Hr. Gewiß kein so schönes wie das Ihre, indem Sie dieß sagen. D. Nun fallen Sie ins Fatale. Hr. Und Gottsched gab seiner Frau ein Mäulchen für das Bon Mot. D. Ich soll Ihnen wohl gar eine Nachtmütze für das Ihrige geben, aber Sie sind selbst eine. Hr. Nein, lieber eine Ansicht Ihrer Natur von der Nachtseite. D. Sie sind unartig. Hr. Ach, wenn wir da mit einander ständen, wie der Kapuziner steht. D. Ich ließe Sie und ginge zum Kapuziner. Hr. Und bäten Ihn, mich mit Ihnen zu copuliren. D. Nein, Sie ins Wasser zu werfen. Hr. Und blieben mit dem Pater allein und verführten ihn, und verdürben das ganze Bild, und seine Nachtgedanken; seht, so seyd ihr Weiber, ihr vernichtet am Ende doch, was ihr empfindet, ihr saget vor lauter Lügen die Wahrheit. O ich wollte, ich wäre der Kapuziner, der so ewig einsam hinüberschaut in das dunkle verheißende Meer, das wie eine Apokalypse vor ihm liegt, so wollte ich mich ewig sehnen nach Ihnen, liebe Julie, und Sie ewig vermissen, denn diese Sehnsucht ist doch die einzige herrliche Empfindung in der Liebe. D. Nein, nein, mein Lieber, auch in diesem Bilde; wenn Sie so reden, springe ich Ihnen nach ins Wasser und lasse den Kapuziner stehn (ab)

Während der ganzen Zeit hatte ein glimpflicher langer Mann mit einigen Zeichen von Ungeduld zugehört, ich trat ihm etwas auf den Fuß und er antwortete mir als ob ich ihn dadurch um seine Meinung befragt hätte. Es ist gut, daß die Bilder nicht hören können, sie hätten sich sonst schon längst verschleiert; die Leute gehen gar zu unzüchtig mit ihnen um und sind fest überzeugt, sie ständen hier wegen eines geheimen Verbrechens am Pranger, das sie Zuschauer durchaus entdecken müssen. – Aber, was meinen Sie denn eigentlich von dem Bilde? fragte ich. – Es freut mich, sagte er, daß es noch einen Landschaftsmaler gibt, der auf die wunderbaren Conjuncturen des Jahres und Himmels achtet, die auch in der ärmsten Gegend die ergreifendste Wirkung hervorbringen, – es wäre mir aber freilich lieber, wenn dieser Künstler außer dem Gefühl dafür auch die Gabe und das Studium hätte, es in der Darstellung wahr wiederzugeben, und in dieser Hinsicht steht er eben so weit hinter einigen Holländern zurück, die ähnliche Gegenstände gemalt haben, als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertrifft, es würde nicht schwer seyn, ein Dutzend Bilder zu nennen, wo Meer und Ufer und Kapuziner besser gemalt sind. Der Kapuziner erscheint in einer gewissen Entfernung wie ein brauner Fleck, und wenn ich durchaus einen Kapuziner hätte malen wollen, so hätte ich ihn lieber schlafend hingestreckt oder betend oder schauend in aller Bescheidenheit nieder gelegt, damit er den Zuschauern, denen das weite Meer doch offenbar mehr Eindruck macht als der kleine Kapuziner, nicht die Aussicht verdürbe; wer später sich nach den Küstenbewohnern umsähe, fände immer noch in dem Kapuziner alle Veranlassung, das auszusprechen, was mehrere der Zuschauer in einer überschwenglich allgemeinen Vertraulichkeit allen laut mitgetheilt haben.

Diese Rede gefiel mir so wohl, daß ich mich mit demselben Herrn sogleich nach Hause begab, wo ich mich noch befinde und in Zukunft anzutreffen seyn werde.


 
Text von Kleist überarbeitet

Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft.


Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß man zurück muß, daß man hinüber mögte, daß man es nicht kann, daß man Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel, vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken, den Einem die Natur thut. Dies aber ist vor dem Bilde unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde, nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte, und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne, das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte, die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder drei geheimnißvollen Gegenständen, wie die Apokalypse da, als ob es Joungs Nachtgedanken hätte, und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit, nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es, wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder weggeschnitten wären. Gleichwohl hat der Mahler Zweifels ohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst gebrochen; und ich bin über48zeugt, daß sich, mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch, worauf sich eine Krähe einsam plustert, und daß dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche Wirkung thun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser mahlte; so, glaube ich, man könnte die Füchse und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste, was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese Art von Landschaftsmahlerei beibringen kann. – Doch meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare Gemählde, sind zu verworren; daher habe ich mir, ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich durch die Aeußerungen derer, die paarweise, von Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.

Erklärung von Kleist in den Berliner Abendblättern (Nr. 19, 22. 10. 1810, S. 78)

„Der Aufsatz Hrn. L.[udwig] A.[chim] v. A.[rnims] und Hrn. C.[lemens] B.[rentanos] über Hrn. Friedrichs Seelandschaft (S. 12te Blatt.) war ursprünglich dramatisch abgefaßt; der Raum dieser Blätter erforderte aber eine Abkürzung, zu welcher Freiheit ich von Hrn. A. v. A.[rnim] freundschaftlich berechtigt war. Gleichwohl hat dieser Aufsatz dadurch, daß er nunmehr ein bestimmtes Urtheil ausspricht, seinen Charakter dergestalt verändert, daß ich, zur Steuer der Wahrheit [...] erklären muß: nur der Buchstabe desselben gehört den genannten beiden Hrn.; der Geist aber, und die Verantwortlichkeit dafür, so wie er jetzt abgefaßt ist, mir. H. v. K.“

Mehr zu dieser Geschicht in Caspar David Friedrichs verborgene Landschaften. Die Neubrandenburger Kontexte, Kapitel 2, "Denkmale für Boll", S. 123